Interview zum Leben in Corona-Zeiten mit dem Berliner DJ Caramel Mafia
Was machst du?
Ich bin Redakteur und Radiomoderator. Im Berliner Kontext kennen mich die Leute aber vielleicht eher als DJ. Ich habe auch meine eigene Partyreihe, die heißt Ratchet. Mein Podcast heißt 030-Bootycall.
Mixtapes von Caramel Mafia: Caramel Mafia
Wieviel Kontakt hattest du vor dem Lock Down mit queeren Menschen und haben sich deinen Kontakte durch den Lockdown verändert?
Die meisten Leute in meinem Umfeld sind queer, queerfriendly oder Allies. Normalerweise lege ich ja auch fast jedes Wochenende in einem queeren oder queer-freundlichen Kontext auf. Ich habe auch eine Kooperation mit einer Partyreihe des Schwuz. Hier haben wir mit Ratchet einen Floor bei der Tasty (Ratchet Berlin). Das war genau an dem Punkt, als der Senat gesagt hat, dass wir wegen des Infektionsrisikos keine Parties mehr veranstalten können. Vorher hatte man schon gehört, dass Leute sich in der Trompete angesteckt haben. Wir wussten, dass es das Virus gibt, aber es hat sich weit weg angefühlt, bis der Senat mit den Schließungen kam. Dann ging es direkt los – von einem Tag auf den anderen. Danach habe ich nur noch Leute aus meinem direkten Umfeld in meinem Kiez gesehen. Ich habe auch für United-We-Stream aufgelegt. Während der Aufnahme habe ich dann noch Leute vom Schwuz gesehen – jetzt aber mit zwei Meter Abstand. Das war schon komisch. Als Resident-DJ kennt man die Leute und normalerweise ist es sehr herzlich. Wir drücken uns dann oder nehmen uns in den Arm. Jetzt rennen alle plötzlich mit Mundschutz und Handschuhen rum.
Haben sich deine sozialen Kontakte verändert?
Die vis-a-vis Kontakte sind natürlich auf ein totales Minimum reduziert. Ich sehe wirklich niemanden. Eine Ausnahme war einer meiner besten Kumpels, der mich ins Schwuz gefahren hat, um öffentliche Verkehrsmittel zu meiden. Es war schon merkwürdig, weil ich als Redakteur von zu Hause arbeite. Ich habe wirklich niemanden mehr gesehen, da ich auch alleine wohne. Das wurde nach einigen Wochen schon etwas ungewohnt. Ich will nicht sagen, dass ich vereinsamt wäre – anfangs hatte ich nicht, im Gegensatz zu Anderen, ein großes Problem mit der Isolation. Es war nur komisch als mich im Supermarkt eine Kassiererin angeschaut und gegrüßt hat. Da dachte ich: Schon- krass! Mich nimmt jemand wahr. Das war ich nicht mehr gewohnt. Natürlich habe ich aber weiterhin Kontakt mit Menschen über die Sozialen Netzwerke. Die Leute rufen an. Mit meinen Freunden und meiner Familie spreche ich über Facetime, Skype und die andere üblichen Programme. Ich habe natürlich auch einige Freunde, die weiter weg wohnen – auch im Ausland – mit diesen Menschen zoome ich auch. Jetzt, nach und nach, sehe ich ein paar Freunde mit zwei Meter Sicherheitsabstand. Man nimmt sich im Moment eben nicht in den Arm, sondern begrüßt sich mit seinen Schuhen oder mit den Ellbogen. Wir laufen dann um den Block oder schauen mit ausreichend Entfernung zusammen was. Abstand halten ist wichtig. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass man jetzt mit manchen Menschen sogar viel enger ist. Wir finden mehr Zeit füreinander und man kramt Leute aus der Vergangenheit aus, mit denen man vielleicht vorher weniger zu tun hatte, weil nebenher das Leben passiert ist. Viele meiner Freunde stehen in dieser Zeit natürlich auch Krisen durch. Da ist es wichtig für unserer aller psychischer Gesundheit, dass man sich trotzdem ab und zu einmal sieht. Klar man liegt sich nicht in den Armen, aber es ist wichtig, dass man für die Leute da ist.
Was für Krisen haben denn die Menschen aus deinem Umfeld, wenn du darüber sprechen möchtest?
Es gibt unterschiedliche Dinge. Durch das Aufeinanderhocken, gibt es bei manchen familiäre Krisen, bei anderen auch Beziehungskrisen – vor allem bei Fernbeziehungen, in denen der Partner wo ganz anders ist. Es gibt auch existenzielle Krisen. Viele meiner Freunde sind Künstler oder Freischaffende – andere sind in Kurzarbeit. Viele haben keine Aufträge mehr. Ich bin davon auch nicht verschont worden. Der ganze Festivalsommer und alle Veranstaltungen sind komplett eingedampft worden. Ich hätte dieses Jahr bei richtig coolen Festivals gespielt, die jetzt alle abgesagt wurden. Am Anfang des Jahres dachte ich mir noch das wären meine Lebensträume, die in Erfüllung gehen – und zack ist alles weg. So geht es vielen Leuten. Selbst bei uns auf Arbeit haben wir jetzt Kurzarbeit. Bei anderen sind noch viel krassere Dinge durch Corona entstanden. Die Menschen fragen sich: Wie geht es jetzt weiter? Im Vergleich mit Anderen, denen es noch schlechter geht, habe ich Glück.
Du verdienst dein Geld also nicht hauptsächlich als DJ?
Nein. Trotzdem fühlt es sich ein bisschen so an, als ob mein Leben ein bisschen auseinander fällt. Da ist zum Einen die Kurzarbeit und zum Anderen, dass alle Clubs geschlossen sind. Viele Clubs stehen vor dem Aus. Auch das Schwuz hat eine Go-Fund-Me Aktion gemacht. Auch Zeitungen und Radiosender, mit denen ich gearbeitet habe, stehen vor großen Unsicherheiten. Viele meiner Kunden, für die ich schreibe, sind da sehr betroffen. So wie es diesen Unternehmen geht, so geht es auch vielen Menschen in ihrem Privat- und Berufsleben. Meine Freunde und ich sind im regen Austausch und ich versuche immer für sie ein offenes Ohr zu haben.
Gibt es da etwas was Berlin oder der Bund machen könnte?
Soweit ich das verfolgt habe, wurde von der Politik zugesichert, dass sie den Clubs helfen möchten. Ich weiss aber auch von den Clubs, dass sie nicht wissen wann jetzt Geld kommt und wie es weitergeht. Einige Clubs mussten bereits alle ihre Mitarbeitenden entlassen, während Andere über Kurzarbeit versuchen an ihrem Personal festzuhalten. Ich denke eben auch, dass Clubs in Deutschland und weltweit als letztes aufmachen werden.
Da kann man wirklich nur hoffen, dass die Politik Dinge so handhabt, dass Clubs Spielräume haben und nicht gezwungen sind, alle zu feuern. Ein Club ist ja immer nur so gut wie die Menschen, die in ihm arbeiten.
Das sind in der Regel ja alles Leute, die oft lange und sehr familiär zusammengearbeitet haben. Wenn man das alles neu aufziehen müsste, weil alles auseinander gefallen ist, dann wird das, glaube ich, sehr schwierig für alle. Ich würde mir wünschen, dass Kunstschaffende nicht als Luxus gesehen werden. Es wäre toll wenn Menschen, die Kunst und Nachtleben machen, Wertschätzung und Unterstützung von der Politik erfahren würden. Damit meine ich nicht nur das Nachtleben, sondern alle Menschen, die Kunst und Kultur schaffen. Natürlich kann man gerade von zu Hause ein Konzert oder ein Set streamen, aber es ist einfach nicht das gleiche wie mit anderen Menschen zu sein.
Was ist für dich da der Unterschied? Was fehlt online?
Ich habe zum unter anderem einen Stream für ARTE gemacht (United We Stream #12: SchwuZ | ARTE Concert). Das ist merkwürdig. Als Künstler hat man dann nicht mehr den Austausch mit Menschen, ist alleine und gleichzeitig fühlt man sich beobachtet. Das ist komisch, weil man auch nicht weiß, ob das gerade den Menschen gefällt und wo genau die Kameras sind. Gleichzeitig denkt man sich: Wenn ich jetzt verkacke, dann ist das mein ganzes Leben im Internet. (lacht) Auf der anderen Seite ist es auch schön, weil es neue Möglichkeiten bietet. Meine Eltern zum Beispiel würden nie in einen Club gehen, aber hatten jetzt die Gelegenheit mich auflegen zu sehen. Das war cool! Es gibt viele negative und positive Effekte. Unter Menschen ist etwas anderes als alleine zu Hause sich in der Nase zu bohren und das Geschehen am Bildschirm zu verfolgen. In Clubs feiert man ja gemeinsam und erlebt Musik und andere Dinge zusammen. Das ist im Moment nur künstlich vorhanden und ich glaube es wird auch künstlich bleiben. Auf lange Sicht verliert dieses Streamen, glaube ich, irgendwann seinen Charme.
Wie sieht es bei dir mit Partnerschaften aus? Hat sich da was durch Corona verändert?
Tatsächlich ja. Durch Corona ist meine Fernbeziehung nach London kaputt gegangen. Man ist dann einfach in einer Situation, in der alle unruhig sind. Ich glaube es ist jetzt wichtig, Stabilität zu haben und wenn man in einer Situation ist, in der man überhaupt nicht weiss, wann man sich das nächste Mal sieht und die Grenzen zu sind, dann fragt man sich: wie wird das mit dem hin- und herfliegen? Ich weiss, dass es bei ganz vielen anderen Menschen auch ein Thema ist. Die wissen auch nicht, wann und wie sie sich wieder sehen können. Klar – man kann facetimen, aber wir wissen einfach nicht wie lange das weitergeht. Dies hat meine Beziehung auch auf eine sehr starke Probe gestellt.
Kennst du Leute, die in diesen Fernbeziehungen eine Möglichkeit für sich gefunden haben, besser an dieser Verbundenheit festzuhalten?
Tatsächlich nicht. Die meisten versuchen zusammen mit Plug-Ins Serien zu schauen und nebenher zu chatten. Das ist zwar schön aber nicht das Gleiche. Alle sagen eben, dass sich ihre Beziehungen sehr verändern. Alle Leute in meinem Umfeld, die ihre Beziehung im gleichen Haushalt haben, streiten sich jetzt aber auch öfter. Dann kann es schon passieren, dass der Eine zum Anderen sagt: Du gehst mir gerade auf die Nerven… Das passiert, weil sie es nicht gewohnt sind, sich so viel und so oft zu sehen. Es ist eben eine Ausnahmesituation.
Ich glaube, die Beziehungen, die Corona überleben, halten für immer. (lacht)
Wie sieht es mit deiner Wohnsituation aus? Was gibt es für dich noch für Orte, die für dich an Bedeutung gewonnen oder verloren haben – also abgesehen vom Nachtleben?
Ich wohne in Steglitz. Hier lebe ich gefühlt seit 100 Jahren, aber trotzdem habe ich von dem Kiez bisher nie viel mitbekommen, weil ich hier immer entweder zu Hause war oder eben geschlafen beziehungsweise gearbeitet habe. Meine Freunde habe ich eigentlich immer in Mitte getroffen. Jetzt lerne ich meinen Kiez besser kennen. Ich gehe super viel spazieren und Fahrrad fahren. Ich sehe neue Ecken und erlebe neue Dinge. Das ist super schön. Ich habe zum Beispiel einen Balkon, auf dem ich in den 12 Jahren noch nie gesessen habe. Jetzt habe ich ihn zum arbeiten und chillen für mich entdeckt. Das ist wirklich schön und macht Spaß. Eigentlich wäre ich jetzt gerade in den USA, aber vielleicht muss das alles gar nicht sein. Es ist so schön in Berlin – gerade wenn alles so blüht und das Wetter toll ist. Vielleicht hätte ich mehr Urlaub hier machen sollen und mehr Zeit bei mir zu Hause verbringen sollen. Jetzt bin ich eben in einer Situation, in der ich nicht jedes Wochenende auf Tour oder in irgendwelchen Clubs bin – das ist eine schöne Ablenkung. Ich will das privat auch ein bisschen beibehalten. Früher hatte ich das Gefühl, ich verpasse was, wenn ich nicht rausgehe. Dieser FOMO (Fear of missing out)-Gedanke. Jetzt denke ich mir, es ist auch echt schön, um 22 Uhr mal auf der Couch zu liegen. Das kannte ich vorher gar nicht. Das ist eigentlich ganz cool.
Also eine Art Corona-Entschleunigung?
Ja total! Ich finde man kann sagen was man möchte, aber es hat schon gesellschaftliche Vorteile.
Welche noch?
Ich finde es schön, wie Freundschaften intensiviert werden. Man unterstützt sich mehr. Eine sehr gute Freundin hat zum Beispiel Schutzmasken für meine Mutter genäht und hat ihr noch eine schöne Karte dazu geschrieben. Solche kleinen Gesten sind Dinge, die wir vorher nicht gemacht haben. Ich tausche mich jetzt tatsächlich über Kochrezepte und Home-Fitness aus. Ich koche jetzt experimentellere Sachen und mache viel mehr Sport als vorher. Es hat auf jeden Fall Vorteile, nicht den ganzen Tag rumzurennen und Zeit zu haben, sich um sich zu kümmern. Für viele Leute gehört es ja auch dazu, ständig Klamotten zu kaufen und ich muss ehrlich sagen, dass ich teilweise auch so bin.
Seit der ganzen Geschichte habe ich mir aber überhaupt nichts gekauft. Es ist schön, sich auch einmal in diesem materiellen Verzicht zu üben.
Das klingt vielleicht sehr hippie-mäßig, aber es ist eben so. Man muss sich nicht ständig Neues kaufen. Ich habe extrem viele Klamotten hier und jetzt merke ich, dass es nicht stimmt, wenn ich sage, dass ich nichts zum Anziehen habe. Das ist ein schöner Effekt! Auch hat man Zeit mal den Keller aufzuräumen oder mal richtig sauber zu machen. Dinge, für die man normalerweise keine Zeit hat oder sie im Alltag einfach nicht macht.
Es ist auch schön, sich mit seinen Orten und den eigenen Sachen ein bisschen auseinanderzusetzen.
Wie sieht es mit Substanzen aus? Du meintest ja, dass du keine illegalisierten Substanzen konsumierst? Wie ist es mit dem Rauchen und Trinken aus?
Ich rauche nicht und kiffe auch nicht. Ich bin da relativ langweilig. Viele Leute stellen sich ja das Leben als DJ viel aufregender vor. Beim Auflegen trinke ich schon gerne was und ich mag Alkohol auch, aber im Moment trinke ich wesentlich weniger. Ich sehe für mich keinen Grund, alleine Alkohol zu trinken. Wenn ich mich mit Freunden treffe, dann ja. Die machen dann irgendwelche Cocktails. Wenn man zusammen dann auf dem Balkon chillt, trinken wir schon mal was. Aber alleine nicht. Ich habe zwar eine riesen Mini-Bar, aber das findet nur statt, wenn jemand hier ist. Während des Dating-Podcasts, zum Beispiel, trinken wir dann auch mal was zusammen. Sonst aber gar nicht.
Der soziale Konsum ist also weggefallen und sonst konsumierst du nicht?
Genau so ist es.
Du hast ja auch schon ein bisschen was zu der Stimmung in deinem queeren Freundeskreis gesagt, aber vielleicht fällt dir noch was ein… Wie würdest du die Stimmung beschreiben?
Es ist, glaube ich, sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite gibt es viele Menschen, die es gut finden, dass im Moment alles ein wenig entschleunigt ist, aber auf der anderen Seite, fürchten Menschen die politische Dimension. Diese “STASI-Mentalität”, zum Beispiel, beunruhigt einige meiner Freunde. Ich meine damit, dass Leute gleich die Polizei rufen wollen, um drei Menschen, die zusammen auf der Straße sind, zu melden – diese Anschwärzmentalität kommt bei einigen schon durch. Das ist ziemlich gruselig. Auch, dass die Menschen anfangen, nach mehr Härte zu rufen und Restriktionen per se gut finden. Viele meiner Freunde haben auch Angst, dass andere Sachen während dieser Zeit durchgewunken werden. Das Abschaffen von Bargeld zum Beispiel. Ich weiß nicht, ob die Menschen da ein bisschen anfällig für Verschwörungstherorien sind. Viele meiner Freunde denken auch, dass es in der Politik gerade sehr viel Aktionismus gibt und eine große Unsicherheit. Auf der anderen Seite ist man noch sie so dankbar gewesen sich zu haben wie jetzt.
Was sind die schönsten Dinge in der Corona-Zeit?
Mein Balkon, meine Freunde und diese Verbundenheit – einfach dieser Zusammenhalt. Im Moment sind wir alle in der gleichen Situation. Dadurch, dass die Welt so schnell geworden ist, fällt es manchmal schwer ein gemeinsames Gesprächsthema zu finden, weil jede*r in seinem eigenen Mikrokosmos gefangen ist… aber jetzt gibt es etwas, über das man sich mit allen unterhalten kann. Obwohl das zwar tragisch ist, ist es trotzdem cool, dass alle zum gleichen Moment was ähnliches erleben und fühlen.
Wie sieht es bei dir mit Sex aus? Hat sich das verändert?
Das hat sich auf jeden Fall durch Corona verändert. Durch diese Situation habe ich meine sozialen Kontakte extrem auf meine engsten Leute beschränkt und sehe sonst niemanden. Die Leute, mit denen ich im Moment Zeit verbringe, sind keine Menschen, mit denen ich Sex habe.
Nutzt du digitale Kanäle für Sex? Ich meine Camsex, Chatsex, Telefonsex…
Digitale Sex-Geschichten waren nie meins und sind es jetzt auch nicht.
Der CSD wird ja dieses Jahr physisch nicht stattfinden können. Würdest du sagen, dieses hat einen Effekt auf die queere Community in Bezug auf Sichtbarkeit? Könnte man vielleicht anders Sichtbarkeit schaffen?
Natürlich macht es Sinn, dass es im Moment keinen CSD gibt, weil es zu Masseninfektionen führen würde. Das ist super tragisch und traurig. Ich glaube, der CSD ist sehr wichtig. Nicht nur hier, sondern überall – vor allem in einer Zeit, in der sich die Leute radikalisieren.
Ich glaube, in der jetzigen Zeit ist es wichtiger als je zuvor zu sagen: Wir sind hier und wir bleiben hier.
Das ist eine sehr große Sache. Ich weiß nicht, wie ich zu digitalen Varianten des CSD stehe. Ich weiss nicht, wie ich dazu stehen soll, weil ich mir darunter nichts vorstellen kann. Ich weiss nicht, was da passieren soll. Was wird das für ein Gefühl sein? Werden Leute das Gefühl haben, dass es etwas mit ihnen zu tun hat? Ich glaube, dass sich Leute vor Webcams ganz anders verhalten, als wenn sie mit ihren Leuten auf der Straße sind und das Gefühl haben, es geht um was. Wenn man dann die ganze Zeit vor der Cam ist – ich weiss auch nicht, ob da jeder jeden sehen soll – dann werden Menschen damit beschäftigt sein, gut auszusehen und nicht den Gedanken haben Dinge zu leben. Auch geht es ja beim CSD darum Sichtbarkeit außerhalb der queeren Kultur zu leben. Ich wage zu bezweifeln, dass sich sehr viele straighte Menschen einwählen werden – dann wird die queere/politische Komponente fehlen.
Glaubst du, da gibt es etwas, was wir (Corona-kompatibel) machen könnten, um dieses Defizit auszugleichen? Wie können wir sichtbar bleiben?
Ich glaube, das wird echt schwierig. Vor allem, wenn man sich überlegt, dass es diese Stadtfeste und Umzüge nicht geben werden. Vor Corona gab es ja auch viele Unternehmen, die auf den Zug aufgesprungen sind und irgendwelche Pride-Editions rausgebracht haben. Ich befürchte, dass wenn es für diese Unternehmen keine medienwirksame Sichtbarkeit geben wird, dass sie dann auch kein Geld in diese Themen investieren werden. Es wird dann kein Regenbogensnickers geben. Das ist schade. Wir werden so wenig Sichtbarkeit haben wie noch nie – ich meine, wie schon lange nicht mehr. Leider habe ich da auch keine konkrete Idee wie wir das ändern können.
Auf was freust du dich denn am meisten, wenn die Restriktionen wieder aufgehoben sind?
Ich habe immer noch die leise Hoffnung, dass wir im Herbst ein halbwegs normales Leben führen können. Realistisch gesehen, denke ich, dass wir erst einmal keine Clubs haben werden.
Ich hoffe, dass danach Menschen andere Menschen auf der Straße nicht direkt als Bedrohung sehen. Ich hoffe das es kein allgemeines Gefühl wird, welches in die DNA des Menschen übergeht.
Ich will nicht, dass Menschen als todbringende Wesen gesehen werden oder als Krankheitsträger.
Es wäre schön, wenn wir da weitermachen können, wo wir aufgehört haben und vielleicht auch etwas dankbarer sind, weil wir uns unserer Freiheiten mehr bewusst sind und wissen, was es bedeutet sich gegenseitig zu haben.
Vielleicht lernt ja jede*r was von dieser Situation. Es wäre schön, wenn wir da alle was rausziehen können. Für mich persönlich wäre es schön, endlich wieder reisen zu können, meine Familie und meine Freunde wiederzusehen – Umarmungen auszutauschen und natürlich kann ich es kaum erwarten wieder eine richtige Party zu haben. Die Frage ist: Wann wird das sein?
Gibt es etwas, was du den queeren Communities mit auf den Weg geben möchtest?
Gute Frage…. So abgedroschen wie sich das vermutlich anhören wird: Wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir diese Situation so schnell wie möglich hinter uns bringen… ich weiß, dass können wir alle nicht mehr hören… aber ich hoffe einfach, dass wir, wenn wir alle zusammenhalten, schnellstmöglich und bestmöglich aus dieser Situation wieder rauskommen…
Ich hoffe, dass die Menschen in der queeren Welt ein bisschen mehr zusammenrücken. Ich meine damit nicht nur Facebook-Posts, sondern Dinge, die wirklich verinnerlicht werden. Es geht darum, unsere Freiräume zu verteidigen – auch was die Clubs und Festivals angeht, aber auch DJs und Künstler*innen
– das man wirklich versucht, diese Strukturen zu unterstützen und sich damit wirklich auseinandersetzt. Natürlich hat nicht jede*r Geld um diese Strukturen auf diese Art und Weise zu unterstützen, aber dass das gesellschaftliche Miteinander mehr wertgeschätzt wird und dass Menschen danach besser miteinander umgehen. Ich glaube, ich klinge gerade wie bei einer Miss-Wahl oder? (lacht)
Natürlich vermissen wir alle mit anderen Menschen zusammen zu sein, aber ich denke mir, wenn wir alle machen würden worauf wir Lust haben, dann würde alles nur viel schlimmer werden.
Wenn ich mit meinem Verhalten ein Leben retten kann oder einen schlimmen Krankenhausaufenthalt für jemanden verhindern kann, dann bin ich auch gewillt, einfach mal zu Hause zu bleiben und noch eine Folge Prince von Bel Air anzuschauen.
Wenn ich damit ein Leben retten kann…
Klar vermissen wir alle einen Rave, aber ich hoffe, dass es irgendwann wieder möglich ist.. Ich mache mir einfach immer diese Gedanken – vielleicht ist das auch Schwarzmalerei – aber was ist, wenn unser altes Lebens, wie wir es kennen, nicht mehr möglich sein wird? Was ist, wenn alle Menschen dieses Misstrauen anderen gegenüber komplett aufsaugen? Was ist wenn es diese Nähe nicht mehr geben wird? Als mich heute eine Frau im Bus angesprochen hat, habe ich diesen Effekt auch bemerkt. Vor allem, weil sie die Einzige im Bus ohne Mundschutz war, hatte ich den Gedanken war: Geh weg – du hast keinen Mundschutz auf. Weisst du, was ich meine? Es kommen einem solche Gedanken.
Es wäre schön, wenn unsere Institutionen gerettet werden – das Schwuz… die Siegessäule… Es wäre schlimm, wenn wir alle nach Corona zehn Kilo schwerer und mit schlechten Haaren und mit ausgewachsenen Fingernägeln wieder aus unseren Höhlen rauskommen und sehen, dass da nichts mehr ist, und auch keine Clubs… das wäre so schade!
Ich habe auch einige Freunde, die gefühlt nur am feiern waren und jetzt zu Hause sind. Sie fragen sich: Bin ich noch glücklich in Berlin? Warum bin ich eigentlich hier? Abgesehen vom Feiern habe ich hier gar nicht so viele Hobbys. Und diese Menschen überlegen dann schon wieder dahin zurückzuziehen, wo sie hergekommen sind.
Manche Leute wissen einfach nicht was sie, außer dem Nachtleben, in Berlin hält.
Aufs Land oder in eine andere Stadt?
Sowohl als auch. Es geht eher darum: Will ich in Berlin sein. Ein Kumpel von mir überlegt sich gerade, eher wieder in eine ländliche Gegend zu ziehen. Ein Anderer überlegt sich, wieder in sein Herkunftsland zurückzukehren – so in ein anderes Land und aufs Land. Es ist trotzdem schön, dass wir kreative Arten finden, um Kontakt zu schaffen. Sei es Zoom-Geschichten zu zehnt, um jemandem zum Geburtstag zu gratulieren… das ist schön aber auf Dauer… auch in meinem Podcast habe ich immer einen Gast und letztes Mal habe ich ein “Corona-Date” gemacht über Facetime.
War das ein richtiges Date?
(lacht). Nee, mein Podcast ist ein Dating-Podcast und deswegen sage ich immer, dass ich ein Date mit meinen Gästen habe, aber es ist natürlich kein Date – also nicht in diesem Sinne (lacht).
Das Interview wurde geführt von Simon Lang, SIDEKICKS.BERLIN.
Das Foto stammt vom Fotografen Rafal Gaweda.