Interview mit Sexualpädagoge Alexander
Geschlecht/Sexualität: In aktivistischen Kontexten definiere ich mich als schwuler trans*Mann. Im Allgemeinen als schwuler Mann.
Pronomen: Er
Was machst du?
Ich mache ganz unterschiedliche Dinge. Wahrscheinlich habe ich fünfeinhalb Berufe. Von Haus aus bin ich Sexualpädagoge und arbeite seit ein paar Jahren im Bereich sexuelle Bildung.
Ich biete Fortbildungen für die Aidshilfen aber auch für den Checkpoint Berlin an. Ich schule dort im Bereich Trans und sexuelle Gesundheit und auch im Bereich STI-Testberatung. Das sind einige meiner Themenfelder. Ich biete auch Körperarbeit und Bodywork für trans* und gender-nichtkonforme Leute an. Hier geht es darum sich den eigenen Körper wieder anzueignen und zurückzuerobern.
Vor zweieinhalb Monaten habe ich noch eine Weiterbildung zum Sexological Bodyworker angefangen. Dort fokussiere ich mich auf die Begleitung von somatischen Lernprozessen mit dem Schwerpunkt Sexualität, Genuss, Erregung – und vertiefe meine hands-on Fähigkeiten. Mein Aktivismus, den ich auch seit einigen Jahren mache, bewegt sich auch im Bereich Körperpolitik. In diesem Bereich bin ich ehrenamtlich zum Beispiel für IWWIT-Kampagnen unterwegs. Eigentlich dreht sich bei mir alles um Körper und Sexualität. Das ist mein Beruf und mein Hobby.
Wie wirkt sich Corona auf den Bereich Körper und Sexualität aus?
Was mir ganz stark auffällt ist, dass das gegenseitige Anfassen, das Berühren und das Körper- Spüren total fehlen.
Ich habe zwar ein paar online Angebote gemacht aber da rede ich eben mit meinem Bildschirm oder meiner Wand anstatt, dass ich vor einer Gruppe stehe und sie zum Spüren bringe. Im Moment geht es hauptsächlich ums Masturbieren aber da schwingt auch ein bisschen Einsamkeit mit. Die Masturbation wird dann nicht nur als eine mögliche Basis einer erfüllten Sexualität gesehen, sondern als Ersatz – das ist mein Eindruck.
Wieviel Zeit hast du vor Corona mit queeren Menschen verbracht? Hat sich das verändert? Wie bleibt ihr in Kontakt?
Ich habe in den letzten zwei Monaten deutlich weniger Kontakt mit queeren Menschen. Ich reise normalerweise sehr viel. Meist bin ich zwei bis drei Wochenenden im Monat unterwegs. Jetzt bin jetzt seit acht Wochen in Hamburg und sitze in meinem Alltag fest. Wegen Corona sind sehr viele Konferenzen ausgefallen auf denen ich sonst gewesen wäre. Das ist extrem schade. Ich habe drei oder vier Leute hier – abgesehen von meinem Mitbewohner – die ich regelmäßig sehe. Das ist aber auch deutlich weniger als sonst. Ich bin sonst eine Person, die im queeren Leben verankert ist… diese online Events und Treffen sind nur bedingt eine Community für mich.
Warum sind diese online Angebote nur bedingt eine Community für dich?
Für mich geht es bei er Kommunikation zu circa 60 Prozent um Körperlichkeit. Wenn ich dir jetzt zum Beispiel gegenübersitzen würde, dann würde ich ganz andere Dinge mitbekommen als jetzt über dieses Video. Mein Sichtfeld ist auf einen Bildschirm reduziert, ich sehe dich nur aus einer Position, ich rieche dich nicht, ich bekomme deine Körperhaltung nicht mit usw.
Diese Dinge sind für mich, als Körpermensch, ein ganz selbstverständlicher Teil der Wahrnehmung und der Kommunikation und von diesen Aspekten fühle ich mich abgeschnitten.
Mit zwei, drei Leuten hast du Kontakt. Hattet ihr den auch während des Lock-Downs? Hat sich der Kontakt im Vergleich zu vorher verändert?
Wir gehen jetzt eben mehr spazieren und nicht in Bars. Wir haben uns auch zu Hause bei Menschen getroffen. Mit Menschen zu denen ich gerade nicht fahren kann, telefoniere ich. Das fühlt sich aber nicht nach einer Pause oder nach Freizeit an. Es ist zwar keine Arbeit aber es ist irgendwie anstrengend.
Wie sieht es bei dir mit Partnerschaft(en) aus?
Ich bin schon seit vielen Jahren Single. Ich habe ein Netzwerk aus Freunden, mit denen ich teilweise auch Sex habe. Diese Menschen treffe ich normalerweise auf meinen Reisen. Das ist jetzt alles nicht möglich.
Dein Sexleben ist im Moment also stark reduziert?
Ich habe auf jeden Fall erheblich weniger Sex mit anderen. Die ganze Cruising- und Darkroom-Kultur ist ja auch weggefallen. Das war auch ein großer Teil meiner Sexualität.
Hat sich deine finanzielle Situation furch Corona verändert?
Es ist grundsätzlich etwas kompliziert. Ich war bis Ende Januar in Teilzeit angestellt und habe nebenher selbstständig gearbeitet. Betriebsbedingt bin ich dann gekündigt worden, weil das Projekt pleitegegangen ist.
Wie sieht es aus mit deiner Wohnsituation? Gibt es andere Orte, welche dir Kraft geben?
Ich lebe in einer WG in einer großen Wohnung. Das ist auch mit Corona total entspannt. Ich habe mit ein oder zwei Leuten von der Ausbildung viel telefonischen Kontakt. Das ist definitiv eine Ressource. Ansonsten schaue ich einfach, dass ich mich selbst gut bei Laune halte.
Ich mache mein Training zu Hause und greife auf die Disziplin, die ich mir in den letzten Jahren aufgebaut habe, zurück.
Wie ist die Stimmung in der WG?
Ich wohne mit einem anderen Mann zusammen und es ist nach wie vor entspannt. Wir verbringen unterschiedlich viel Zeit miteinander aber kochen und essen oft zusammen. Das haben wir vorher auch gemacht. Das ist jetzt noch mehr geworden.
Nutzt du im Moment Dating-Apps? Hat sich dein Nutzungsverhalten verändert?
Es ist tatsächlich so, dass ich vor Corona keine Dating-Apps benutzt habe. Ich bin jetzt aber am Überlegen ob ich damit anfange.
Warum willst du jetzt damit anfangen Dating-Apps zu benutzen?
Weil ich es echt vermisse mit meinen Jungs abzuhängen.
Mir fehlt auch der Austausch über Fetisch und Sex.
Ich habe einen Freund, der in Berlin lebt. Er war diese Woche zum Arbeiten hier in Hamburg. Wir haben uns getroffen und uns dann stundenlang über Fetisch unterhalten. Mir ist dabei das Herz aufgegangen, weil ich eine solche Sehnsucht und ein großes Bedürfnis nach dieser Art von Austausch habe. Weil ich im Moment nicht in Bars abhängen kann, überlege ich mir eben auf diese Plattformen auszuweichen, um Kontakt herzustellen.
Du meinst also, dass du versuchst mit Datingapps die physischen Räume etwas zu kompensieren?
Genau.
Welche queeren Orte fehlen dir und warum?
Es ist ein bisschen schräg, weil ich keinen Alkohol trinke und straight-edge lebe (völliger Verzicht auf Rauschmittel). Trotzdem bin ich sehr gerne in Bars und bei Parties und Events dabei. Mir fehlen Cruising-Orte, die Fetisch Bars und tatsächlich auch Saunen.
Würdest du sagen, dass die Stadt Hamburg oder der deutsche Staat mehr tun könnte um diese Orte zu unterstützen?
Eine Sache, die jetzt gerade auch total in der Luft hängt, ist wann diese Orte wieder aufmachen können. Das ist in Berlin glaube ich ja auch so. Dieses Vakuum und dieses in der Luft hängen führt zur Unzufriedenheit. Natürlich ist auch die finanzielle Seite schwierig. Es geht eben darum wieviel Puffer die entsprechenden Orte haben.
An deinem Substanzkonsum hat sich also auch nichts verändert, wenn du sagst, dass du straight-edge bist?
Nein. Da hat sich nicht verändert.
Wie würdest du eine psychische Gesundheit im Moment einschätzen? Vielleicht auf einer Skala von 0 bis 10? Was hilft dir dabei dich gut zu fühlen?
Meine mentale Gesundheit würde ich im Bereich sieben bis acht einschätzen – also ganz gut. Mir hilft es, wenn ich mich viel mit meinem Körper und mit Bewegung auseinandersetze. Das kann ich hier auch, weil ich ein Trainingsraum dafür habe. Ich habe seit vielen Jahren eine chronische Hüftverletzung. Damit habe ich mich am Anfang des Jahres viel auseinandergesetzt. Vor circa einem Monat hatte ich eine ziemlich starke Schmerzphase, die mich sehr belastet hat aber auch Teil der Besserung ist. Es ist aber auch anstrengend.
Was mir in dieser Zeit hilft ist das Bewegen. In dieser unklaren Zeit mit beruflicher Unsicherheit ist es für mich auch gut trotzdem regelmäßig aufzustehen, mich zu entspannen, gut zu essen… und entspannt auszuatmen.
Damit reguliere ich mich. Meine Arbeit nimmt viel Bezug auf Grounding und Centering. Das ist ja auch etwas was ich Menschen vermittele. Diese Strategien kann ich auch für mich nutzen.
Was sind die drei schönsten Dinge in der Corona Zeit- wenn dir welche einfallen?
Mir gefällt die Stimmung draußen. Es ist alles viel ruhiger geworden. Sonst fällt mir leider nicht viel Positives ein.
Was war denn dein erotisches Corona-Erlebnis?
(überlegt) Das überschneidet sich ein bisschen mit den positiven Dingen. Ich muss während Corona nur ganz selten duschen und ich finde das total super. Ich liebe es verschwitzt durch die Gegend zu laufen und meinen eigenen Körpergeruch wahrzunehmen. Für mich ist Achselschweiß der beste Geruch auf der Welt. Das ist etwas sehr Positives (lacht). Vielleicht ist das mein erotischstes Erlebnis…
Auf was freust du dich am Meisten nachdem die Restriktionen wieder aufgehoben sind?
Ich freue mich auf jeden Fall auf Körperkontakt in schwulen Bars.
Gibt es etwas was du den queeren Communities mit auf den Weg geben willst?
Es ist glaube ich gut zu schauen wie man sich innerhalb der gegebenen Limitierungen entspannen kann und das Beste draus zu machen.
Als queere Menschen kennen wir ja auch Fremdbestimmungen von außen… wir sind es vielleicht gewohnter mit diesen Dingen entspannter umzugehen.
Dieses Jahr werden ja viele queere Veranstaltungen physisch nicht stattfinden können… gibt es für die queeren Communities und Subkulturen innerhalb dieser Communities einen Weg trotzdem Sichtbarkeit zu schaffen?
Ich habe nicht wirklich eine Idee wie wir mit unseren Themen im Gespräch bleiben können, weil ich tatsächlich auch die Sorge habe, dass, nachdem wieder eine Art von Normalität eingekehrt ist, die LGBTIQ Themen und Projekte eher hintenangestellt werden. Ich weiß es leider nicht genau und bin da selbst ein bisschen ratlos. Ich weiß nicht ob man alles in die Online-Welt schieben kann. Ich denke das ist nicht für alles die klügste Art und Weise.
Würdest du sagen, dass Corona die Gesellschaft und damit auch die queeren Communities verändern wird?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Leute sich auf sich selbst zurückbesinnen. Vielleicht auch eine Art von Konsumreflexion. Vielleicht stellen sich die Menschen die Frage: Möchte ich das?
Vielleicht haben danach Menschen mehr Klarheit und eine Wertschätzung für das was sie selbst für sich wollen. Vielleicht werden auch Freiheiten danach mehr wertgeschätzt.
Vielleicht ist es auch ein frommer Wunsch, aber dadurch, dass diese Situation alle betrifft… könnte die Gesellschaft vielleicht weiter zusammenrücken und mehr Gemeinsamkeiten entdecken.
Das Interview wurde geführt von Simon Lang, SIDEKICKS.BERLIN.
Das Foto stammt von Alexander.