Interview mit dem intergalaktischen Mephisto und Faust bei ihrem Stopp in Berlin
Wer seid ihr?
Mephisto: Ich bin Commandix Mephisto und gerade auf Urlaub auf Planet Erde und bin dafür bei Faust abgestiegen.
Faust: Ich heiße Faust und wohne seit Jahren in Berlin. Morgen fahre ich ans Mittelmeer, um dort auf ein konfisziertes Rettungsschiff aufzupassen.
Mephisto: Ich komme ursprünglich von der Erde und zwar aus dem Libanon und und war jetzt fünf Jahre in Europa: erst in Paris und Freiburg, jetzt in Berlin.
Wie identifiziert ihr euch?
Mephisto: Ich kann mich mit dem Begriff “Mann” nicht mehr identifizieren. Diese Bedeutungen, die Verhaltensweisen, welche Klamotten man als “Mann tragen soll” und auch die Rolle des Mannes in der Familie sind mir fremd. Sexuell bin ich im Moment in einer Entdeckungsphase. Ich weiss nicht, wie ich mich nennen soll und habe auch keine Lust, dafür jetzt einen Titel zu finden.
Faust: Ich bin ein schwuler, cis-feministischer, aktivistischer Single.
Was macht ihr denn?
Faust: Wir schlagen uns beide so durch. Das eint uns nicht nur im Lockdown. Ich verbringe sonst viel Zeit mit Aktivismus für die Love Lazers, für das Plattenlabel mikrodisko.net und für die Seenotrettung. Viel in meinem Leben hat ansonsten mit Techno zu tun.
Mephisto, haben sich deine Tätigkeiten verändert?
Mephisto: Auf jeden Fall. Im All bin ich auf der Suche nach instabilen Sternen, um diese zu zerstören und so Systeme zu stabilisieren. Auf der Erde bin ich DJ und in der Nightlife-Szene. Durch Corona sind die Clubs geschlossen und jetzt muss ich nach Alternativen suchen. Ehrlich gesagt hatte ich viel Spaß während des Lockdowns und habe viele neue Sachen gelernt.
Wie zum Beispiel?
Mephisto: Radiosendungen zu machen und übersetzen in arabisch für die Love Lazers, so habe ich viel über undetectable und PrEP gelernt.
Wollt ihr vielleicht noch was zu lovelazers.org sagen?
Faust: Die Love Lazers sind eine aktivistische Infozelle. Wir beschäftigen uns mit New Safer Sex: PrEP, PEP, Undedectable, auch mit Substanzkonsum und Safer Use. Die Perspektive auf Intimität und Highsein, das was allgemein unter ChemSex verstanden wird, fassen wir weiter. Während des Lockdowns haben wir eine Sammlung von Erfahrungsberichten veröffentlicht mit dem Titel: “Mephisto, I’m fucking sooo high”. In diesen Texten geht es um Nahsein, Sex und Highsein, und zwar unter Männer*n, die Sex mit Männern* haben sowie Trans-Leuten. Für Corona mussten wir das dann plötzlich in Bezug setzen. Die Texte sollten für die Leute zu Hause vor ihren Computern nicht komisch wirken und auch nicht dazu auffordern, jetzt Sexparties zu veranstalten. Das war ein Abwägungsprozess. Der fantastische Mephisto-Text war unsere Lösung dafür: das Wagnis einer positiven Utopie nach dem Ende einer fiktiven Pandemie. Es war das Ziel, die neue Situation mit Corona und Lockdown in die Texte zu integrieren. Wir hatten zuvor seit über einem Jahr an den Berichten, Vorwort und Infoteil gearbeitet und begonnen, sie in fünf Sprachen zu übersetzen. Corona hat uns gepusht, das jetzt fertig zu machen. Dann kamen Korrekturen aus den verschiedenen Teilen der Welt und es war ein freiwilliges und auch unentgeltliches Zusammenarbeiten an einem Projekt vom Umfang einer Buchpublikation. Das hat uns global plötzlich sehr verbunden.
Der SciFi-Text ist dann bei uns in der Wohnung während und als Auseinandersetzung mit der Kontaktsperre entstanden.
Mephisto: Faust hat die Geschichte erst runtergeschrieben, dann haben wir Raumschiff-Filme geschaut, und dadurch die Geschichte immer wieder geändert.
Faust: Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie wir beide anders funktionieren. Wir haben uns positive Dinge vorgestellt in einem Moment, in dem das Draußen wegzukippen drohte und wir wie viele verunsichert und ängstlich waren. Wir haben z.B. fantasiert, rumgesponnen, wie die Sexparties der Zukunft aussehen könnten.
Mephisto: Wir haben uns auch überlegt, was es dann für Substanzen geben wird. Vielleicht sind die Drogen dann plötzlich Pheromone, die nur in bestimmten Räumen wirken? Wie organisieren sich dann die Menschen? Der Text versucht Gender-Schablonen zu mischen, sie sind nicht mehr relevant in der Utopie, die wir uns vorgestellt haben. Wie schwierig das ist, das sprachlich umzusetzen! Die Sprache wird sich mit uns weiterentwickeln in der Zukunft. Das können wir uns jetzt noch nicht klar vorstellen. Im Deutschen ist das noch schwieriger als im Englischen.
Faust, du hast ja auch erwähnt, dass du in der Corona-Zeit krank warst…
Faust: Direkt am Tag des Lockdowns, kurz nachdem Mephisto eingezogen ist, bekam ich Fieber. Dadurch sind wir besonders verbunden: Wir waren dann 14 Tage in absoluter Quarantäne und haben die Wohnung als Raumschiff erlebt.
Wir haben aus dem zehnten Stock auf den Fernsehturm geschaut, die Kreuzungen vor uns leer. Kein Gefühl mehr für Raum und Zeit. Draußen hell, aber gespenstisch ruhig – wie sonst in der Nacht. Später haben wir Musik gehört und uns – manchmal angebreitet – immer weiter von der Erde entfernt. Meine Ärztin ist davon ausgegangen, dass ich Corona-Symptome habe, obwohl mein C19-Test negativ war.
Mephisto: Die Situation haben wir eigentlich durch Gespräche und Produktivsein gemanaged. Erstmal geguckt, was die Welt, unsere Freund*innen und die Regierungen so sagen. Dann, was wir schlüssig finden und eben schreiben. Wir hatten viele Ängste, die wir nicht zuordnen konnten. Wir wollten herausfinden, ob das mit der eigenen Person, der Gesundheit oder eher mit den Verhältnissen zusammenhängt. Viele haben das erste Mal in ihrem Leben erfahren, dass die Situation instabil und unsicher war. Andere hatten Angst um ihr Leben. Das waren Themen, die wir jeden Tag diskutiert haben. Und dann: Wie werden sich Dinge in der Zukunft ändern? Im Text grüßen sich Menschen z.B., indem sie sich gegenseitig die Hand auf das Herz legen.
Mephisto, hattest du auch Symptome?
Mephisto: Ich habe einmal geniest. Das war mein Corona (lacht). Ich habe ehrlich gesagt gehofft, dass ich Symptome bekomme, in der Hoffnung Immunität zu bekommen. Dass es damit für uns vorbei ist. Als Faust krank war, habe ich auch überlegt, seinen Löffel abzulecken. (lacht) Ich fand es ein bisschen pervers und habe es nicht gemacht.
Faust: Interessant, dass manche jetzt Infektionsphantasien haben, ähnlich wie die, die es vorher in Bezug auf HIV gab.
Die Bereiche der M*SM*-Szene, in denen es ums pozzen – also sich bewusst mit HIV anstecken zu lassen – geht, sind ja einer breiteren Öffentlichkeit nicht so bekannt. Jetzt gibt es das ähnlich bei Corona.
Gibt es da weitere Parallelen zu HIV?
Mephisto: Ich habe HIV nie erlebt, sondern nur Geschichten darüber gehört.
In meiner Kindheit wurden im Libanon HIV als das Böse und Menschen mit HIV als hoffnungslos stigmatisiert.
Meine Wissenschaftslehrerin hat uns aber dann darüber aufgeklärt, dass es Therapien gibt und dass Menschen mit HIV ein gesundes Leben führen können. Trotzdem gab es mit HIV immer eine Disconnection, eine krasse Angst. Wenn man heute auf der Straße einfach hustet, dann schauen Leute einen ganz merkwürdig an, obwohl man jeden Tag hustet. Diese Dynamik ist von Angst verursacht, genau wie bei HIV.
Faust: Ich bin HIV-positiv und arbeite schon länger mit anderen zusammen zu dem Thema. Bei den Love Lazers kann man uns nicht einfach so Sachen verkaufen. Wenn gemeldet wird, dass Impfstoff, Therapie oder gar eine Heilung gefunden worden seien – und davon habe ich wahrlich oft gehört – bin ich erstmal sehr skeptisch. Die Nachricht, dass Trump einen noch zu entwickelnden C19-Impfstoff kaufen und damit für die USA sichern wolle, habe ich für Fake News gehalten, was sich später auch bestätigte. Man kann als Staat keinen Impfstoff exklusiv aufkaufen, der globale Pharma-Markt funktioniert so nicht.
Hast du einen Tipp wie man solche Fake News erkennen kann?
Faust: Bei den Love Lazers bereiten wir Informationen auf und machen sie zugänglich. Es geht um wissenschaftliche Erkenntnisse und deren Quellen. Wichtig ist, in Ruhe zu hinterfragen, wem welche Informationen nützen. Kann man damit etwas verkaufen oder verdienen? Kann man mit diesen Informationen Menschen führen, manipulieren, ausschließen? Sichert deren Verbreitung gar Privilegien? Bei der Trump/Impfstoff-Meldung ging es wohl darum, die hiesige Bevölkerung auf Linie zu kriegen.
Mephisto: Es ist sehr einfach, so eine Geschichte zu glauben, weil man Trump gerne hasst. Es ist aber wichtig, die Quellen zu recherchieren und mehr über Themen zu lesen, bevor man solche Dinge weiterträgt, besonders wenn es eine politische Agenda gibt.
Faust: Wir werden wohl erleben, dass Mittel gekürzt werden. Möglicherweise wird HIV gegen C19 ausgespielt. Dagegen müssen wir uns wehren. Die Love Lazers verfassen gerade einen Artikel für Kolumbien zum Zugang zu PrEP, das dort immer noch nicht zugelassen ist. Wir machen da Druck. Intern diskutieren wir, was der richtige Moment dafür ist. Jetzt im Moment der Krise? Oder später, wenn die Welt dank Corona eine andere, möglicherweise schlechter ist? Ressourcen des Gesundheitssystems werden dort derzeit für Corona gebraucht. PrEP könnte schon bald als ein Luxusproblem angesehen werden, das jede*r weiter selbst bezahlen soll. Menschen sind gerade verständnisvoller und vielleicht hilft Corona, auch die Herausforderung HIV besser zu verstehen. Viele spüren, wie Profitstreben alles noch verschlimmert. Und in Bezug auf HIV haben wir so viel Wissen zu Verhaltensänderung, Schadensminimierung, Communities und Eigenverantwortung erlangt. – Das kann sehr gut auf Corona übertragen werden. Wir haben gerade “Longtime Companion” gesehen, den ersten Spielfilm, der sich mit HIV beschäftigt. Bei allen Unterschieden erinnert er an die heutige Situation:
Obwohl niemand genau wusste, was HIV ist und bedeutet, sind die Leute solidarisch zusammengestanden und da gemeinsam durchgegangen. Sowohl HIV als auch Corona passieren in einem neoliberalen Rahmen und müssen in diesem irgendwie gelöst werden.
Das ist vergleichbar.
Wie waren deine Erfahrungen während deiner Erkrankung bezüglich des Gesundheitssystems?
Faust: Ich habe vorab gedacht, dass Menschen mit HIV unter effektiver Therapie nicht besonders riskiert sind: viele in meinem Bekanntenkreis sind noch jung, machen Sport oder Party und haben auch ‘ne Menge Wissen. Als dann Menschen krank wurden – einige HIV-positiv, jemand mit HPV, ein anderer war gar im Krankenhaus – merkte ich, dass das wohl etwas zu kurz gedacht ist. Niemand weiß, ob man mit HIV unter der Nachweisgrenze keine oder weniger Probleme hat. Ich habe mich in meiner Schwerpunktpraxis exzellent aufgehoben gefühlt: eigene Corona-Sprechstunde, seit kurzem gar ein C19-Antikörpertest und v.a. kein Drama – wir profitieren jetzt von deren Erfahrungen mit HIV. Ich hatte auch nur vier Tage moderates Fieber, ein Bekannter mit fast 40 Fieber über Tage und typischen Symptomen bekam jedoch keine medizinische Versorgung.
Seine hausärztliche Praxis wollte eine Krankschreibung per Post schicken und ihn ansonsten noch nicht einmal am Telefon behandeln. Der dann gerufene ärztliche Notdienst kam erst nach acht Stunden und verschrieb Antibiotika!
Die offizielle Corona-Teststelle in Spandau war überlastet und deren tägliches Kontingent von 50 Tests um 9 Uhr morgens schon aufgebraucht. Wir haben dann von unserem Raumschiff aus versucht, eine Ärztin oder einen Arzt finden, der/die sich dem annimmt. Das haben wir auch hingekriegt.
Wieviel Kontakt hattet ihr vor der Corona Zeit mit queeren Kontakt und wie hat sich dieser Kontakt verändert?
Mephisto: Ich habe wegen Corona weniger Leute gesehen, aber mehr queere Menschen waren es insgesamt dann doch. Wir haben ja zusammen an diesen Texten gearbeitet. Wir haben auch manchmal Menschen gesehen, die alleine gelebt haben und einfach ein Abendessen mit Freund*innen gebraucht haben. Das ist ein paar mal passiert.
Faust: Es war auch ein Prozess zu verstehen, dass die Regularien der Kontaktsperre sehr auf die herkömmlichen Vorstellungen von Familie abzielten. Die soll die Krise tragen, hat aber dafür das Privileg des Zusammen-Sein-Dürfens.
Wir sind mit den Regeln pragmatisch umgegangen und haben selbst definiert, was Familie ist. Zudem fiel freiwillige Arbeit nicht unter die Kontaktsperre: Wir Love Lazers sind systemrelevant und notwendig! Arbeitstreffen mit zwei, drei Personen und Abendessen haben dann für minimale soziale Kontakte gesorgt. Vor allem für die, die Single sind oder allein in 1-Raum-Wohnungen wohnen, war das wichtig.
Mephisto: Als Faust krank war, hatten wir aber gar keinen Kontakt. Wenn überhaupt eine Person vorbei kam, dann war das, weil sie uns essen gebracht hat. Teilweise haben wir der dann einen Stuhl gegeben und während wir drinnen saßen, hat sie für fünf Minuten an der Tür gechillt. Wir haben auch darüber diskutiert, dass einige Leute sich in einer solchen Situation eher an die Politik als an die Wissenschaft halten. Für uns war klar, nach zwei Wochen Quarantäne sind wir gesund und keine Viren mehr in der Wohnung. Dann können wir auch mal wieder jemanden einladen – wir haben das als sicher und verantwortlich empfunden.
Faust: Wir haben auch lange darüber diskutiert, was queer ist.
Gab es einen Konsens oder eine Richtung?
Mephisto: Auf jeden Fall. Ich hatte eher das Gefühl, dass queer viel mit Sex zu tun hat und dass ich als Person, die noch nie Sex mit einem Mann hatte, mich nicht als queer identifizieren kann oder darf. Faust hat das anders gesehen und ich mochte das direkt. Es geht mehr darum, wie man die Welt sieht, Strukturen hinterfragt und das jeden Tag auslebt.
Faust: Queer ist immer wieder aufs neue ein Konflikt, der nicht auflösbar ist, weil es sonst nicht mehr queer wäre. Queer geht darum, Dinge in Frage zu stellen. Für mich ist das nicht möglich ohne Herrschaftsformen und Unterdrückung zu diskutieren. Sonst ist das nur ein schickes Label.
Mephisto: Wenn Leute alles hinterfragt haben und Dinge vorangebracht worden sind.
Ohne Ausbeutung wird es irgendwann auch kein queer mehr geben, da es immer als eine Reaktion auf etwas entsteht.
Dann ist die Welt eine Utopie. Queer ist heute vielleicht die Suche danach. Das war für mich eine schöne Erkenntnis. Ich bin an einem Ort aufgewachsen, wo Dinge nicht wirklich hinterfragt werden durften. Wenn ich das dennoch tat, haben mich meine Freund*innen zwar noch geliebt, aber als verrückt angesehen. In dieser Szene bin ich wie alle anderen.
Hast du noch viel Kontakt in den Libanon? Wie ist die Stimmung bei deinen queeren Freunden?
Mephisto: Ja ich habe viel Kontakt mit meiner Familie und mit manchen Freund*innen.
Wie geht es denen?
Mephisto: Da war es verrückt. Das Gesundheitssystem ist nicht vorhanden. Die Menschen haben sich dann selbst organisiert und sind zu Hause geblieben und damit die Infektionskurve abgeflacht. Das ist ziemlich schnell passiert. Die meisten waren solidarisch. Meine Freund*innen sind fast alle Teil der Nightlife-Szene. Die haben sich weiterhin im Studio getroffen. Meine Familie hat es insofern gut, da sie in den Bergen lebt und einen Garten hat. Die haben viel Kunst- und Gartenarbeit gemacht. Irgendwie klang das für mich positiv
Vor der Krise gab es im Libanon eine Revolution und Corona hat diese plötzlich gestoppt, weil Menschen nicht zu Tausenden auf die Straße konnten. Die ganze Situation ist ökonomisch und politisch katastrophal – aber das ist unabhängig von Corona.
Faust: Ich habe darüber jedenfalls viel lernen können.
Mephisto: Ich habe auch sehr sehr viel über die DDR gelernt. Ganz viel! (lacht)
Wie lebt ihr eure Sexualität während der Corona-Zeit?
Faust: Mein Sex war Reflexion und Auseinandersetzung mit Fantasien und Bedürfnissen. Seit Mephisto eingezogen ist, geht es bei uns ständig um Horny- und Highsein. Das ergab sich durch den Mephisto-Text. Aber nicht nur. Und es nervt manchmal auch!
Cruising Apps hab ich benutzt, um virtuelle Formen der Sexualität zu leben: Gucken, Chatten, Fantasieren – und nicht als Anbahnung zu Treffen. Das Zuzulassen und nicht zu entwerten war für mich wichtig.
Einige Leute nutzen die Apps derzeit nicht. Einige sagen, dass sie die Apps deshalb meiden, weil es sie daran erinnert, dass etwas nicht so einfach ausgelebt werden kann. Das ist nicht einfach, ich versteh das. Nicht verstehen kann ich aber, wenn andere deshalb abgewertet werden, weil die das für sich anders lösen. Für mich ist das ein Hinweis auf eine nicht regulierte eigene Sexualität. Das hat mich genervt. Nach meinem Fieber hatte ich ein Sexdate mit einem Typen, der auch dachte, dass er mit Corona durch sei. Wir haben uns entschieden, dass das ein Risiko ist, das wir tragen können. Ich spreche hier von einer einzigen Begegnung. Manche meinten: “Das geht nicht.“ und ich erwiderte: „Doch das geht. Ich habe kein Boyfriend oder jemand, mit dem ich sonst körperlich nah bin, und das kann ich auf jeden Fall tragen.“
Wie sieht es mit deinem Sexleben im Moment aus, Mephisto?
Mephisto: Mein Sexleben war kaum existent. Das finde ich nicht so schlimm. Ich hatte viel Kontakt mit Menschen, die nicht in Berlin wohnen, und habe gemerkt, dass vielen Anderes viel mehr fehlt als Sex.
Was fehlt ihnen denn mehr als Sex?
Mephisto: Kuscheln zum Beispiel, obwohl das auch Sex sein kann. Es ging mehr um Wärme und Gefühle von Zuneigung.
Liebe zu erleben, oder einfach Aufmerksamkeit und Wahrnehmung scheint den Menschen wichtiger als körperliches Vergnügen.
Ich hatte geile Gespräche mit Freund*innen, die wir ohne diese Dynamik nie gehabt hätten. Das hat mir viel Spaß gemacht und ich habe viele neue Seiten von denen entdeckt. Ich habe Sachen von mir entdeckt, von denen ich nichts wusste. Das war wie eine Vorstellung von der Zukunft, in der jede Person auf einem Raumschiff sitzt und ihre Emotionen und Lüste durch Geräte schickt, um Freundschaften und Beziehungen zu halten. Das hat gut in meine Space-Fantasien gepasst.
Faust: Wir haben zusammen Platten gehört und richtig Party gemacht. Dennoch auch mit einem Gefühl von Simulation. Wenn dann Bewusstseinserweiterung hinzukam, merkte ich, dass ich auch Bock habe auf Sex habe und mich dann besonders alleine fühlte.
Hast du für dich in einer solchen Situation einen guten Umgang gefunden?
Faust: Ich bin eine sehr soziale Person. Dinge musste ich nun mehr mit mir ausmachen und aushalten – auch begreifen, dass manche Dinge sich nicht aushalten lassen: Ich hab beispielsweise gehört, dass sich mehrere Personen im erweiterten Bekanntenkreis das Leben genommen haben, darunter ein Fall, wo Substanzkonsum eine Rolle spielte, war es nun Unfall oder Vorsatz. Da gibt es offensichtlich eine Gefahr oder eine Möglichkeit, dass diese Auseinandersetzung mit sich selbst nicht positiv ausgehen muss. Körpererleben, Autosexualität, wie sehr man sich wohl fühlt mit sich. Manche werden depressiv, manche lehnen Sexualität ab, beides kann Ausdruck von Restriktionen und Notwendigkeiten sein. Das alles lässt dunkle Wolken aufziehen. Es ist eben nicht einfach und das Gesagte wiegt schwer. Naheliegend, dass Leute auch deshalb alleine Drogen nehmen. Hab ich auch schon mal gemacht. Die Motivation, sich zu vergessen, kann ich nachvollziehen. Das ist menschlich. Es macht aber ganz neue Fragen auf.Welche Informationen braucht jemand, der oder die Drogen alleine nimmt, um sich nicht völlig rauszuschießen. Das ist eine neue ethische Herausforderung. Im Rahmen von Safer Use und Harm Reduction haben wir immer gesagt, dass es besser ist, nicht allein zu konsumieren und jemanden dabei zu haben, der aufpasst.Dies gilt auch weiterhin. Aber vielleicht haben wir da vorher auch ein bisschen weggeschaut und das hat vorher auch schon stattgefunden. Das ist mir jetzt mit dem Lockdown sehr viel mehr bewusst geworden.
Mephisto: Es ist sehr verständlich, dass Menschen Drogen nehmen. Zum Feiern, um sich abzulenken oder weil sie keine Lust haben, sich mit Dingen oder sich selbst auseinanderzusetzen.
Das muss schwierig sein für diese Menschen, weil wiralle Community brauchen. Viele haben gewarnt, dass Menschen das vielleicht nichtso lange aushalten.
Ein anderes Thema ist Gewalt zu hause. Es geht in beide Richtungen. Zu viel oder zu wenig Abstand. Es gab jedoch v.a. Diskussionen über Masken und Virologie, aber wenig über psychologische oder soziale Unterstützung.Es wurde darüber nicht viel geredet. Ich habe z.B. nie eine Aussage gehört wie: Wer Corona hatte, kann sie sich mit jemanden, der oder die das ebenfalls hatte, treffen. Das hätte Menschen geholfen, sich wahrgenommen zu fühlen. Die Solidarität mit der sogenannten Risikogruppe hat alles dominiert. Ich bin da auch solidarisch, aber das bedeutet nicht, dass die Probleme der anderen Menschen nicht existieren. Deswegen geht der Mephisto-Text letztlich um Kontakt. Sex, Drogen und Feiern sind dafür nur ein Bild, ein Teil von Kontakt.
Wie sieht es aus mit Substanzen? Hat sich euer Konsum verändert?
Mephisto: Legale Drogen konsumieren wir auf jeden Fall mehr jetzt. Letzte Woche haben wir für 70 Euro Kaffee gekauft! (lacht)
Fair und Bio – da haben wir gehamstert. Es ist ein Genuss und wir lieben das beide. Wir sind da co-abhängig (lacht). Seit ich in Europa bin, kontrolliere ich meinen sonstigen Konsum viel mehr als früher. Jetzt konsumiere ich nicht mehr als vor Corona.
Konsumierst du anders als vorher?
Mephisto: Als DJ im Libanon habe ich alles kostenlos bekommen. Ich habe dann gar nicht hinterfragt, was ich jetzt eigentlich nehme, ob ich das will und warum.
Hier habe ich gelernt, nüchtern aufzulegen und zu feiern. Das hat für mich die Bedeutung von Konsum komplett verändert.
Jetzt suche ich dafür mehr den richtigen Moment. Ich habe viel mehr Kontrolle. Ausnahme: Gras. Sonst klappt das gut: ein Erlebnis mit geiler Mucke und einem Gespräch mit einer Person, die man mag. Ich fühle mich gut und kann lange wach bleiben. Die Droge intensiviert, aber eigentlich geht es um was anderes. Das hat sich bei mir in der Corona-Zeit nicht verändert – ich habe es genossen.
Faust: Es gibt kein Richtiges im Falschen. – Wer hat Ketamin schon mal auf Adorno diskutiert? Für uns war unsere Auseinandersetzung ein vorsätzlich neue, bewusstseinserweiternde Erfahrung: in der Logik von Raumschiff etwas, das wir zusammen machen. Auch vorher ging es bei uns immer darum, eine Verbindung zu haben.
Ich habe derzeit das Gefühl für Wochenstruktur und damit einen Kontrollmechanismus verloren. Ich rauchte früher z.B. nur am Wochenende. Das ist jetzt total weg.
Wenn jetzt abends bei uns noch was besprochen wird, dann fühlt sich das an wie Kneipe und dann rauche ich auch. Egal, dass es erst Dienstag ist.
Könnte man sagen, dass dein Konsum an Orte geknüpft war und diese Trennung sich mit den Orten aufgelöst hat?
Faust: Ja genau. Und auch die Zeit. Lockdown hieß für mich täglich: telefonieren, anderen helfen und viel nachdenken. Ich habe auch das Club-Streaming nicht verstanden. Das fühlte sich leer an. Wir haben das nicht gebraucht, weil wir das anders gelöst haben. Zwei Stunden mit einem alten Kumpel am Telefon und am Ende waren wir betrunken. Das ist hier einfach so passiert, wie in einem imaginären Club. Wir haben sogar einen Backstage (lacht)! Was mir aber ungemein fehlt, ist das Tanzen. Das kann ich nicht so gut alleine.
Wann denkst du kannst du wieder Tanzen oder was müsste passieren, dass du wieder tanzen kannst?
Faust: Spekulation. Irgendwann mit einer Handvoll Leute bei uns zu Hause. Vielleicht auch auf der Wiese, aber vorerst eher nicht mit 100 Menschen.
CSD und das Stadtfest werden ja dieses Jahr nicht physisch stattfinden und manche sagen, dass dies wichtig für die queere Sichtbarkeit ist. Wie seht ihr das?
Mephisto: Ich bin mit Leuten befreundet, die in Freiburg den CSD organisieren und ich weiß, dass dieses Jahr dort CSD und Tuntenball abgesagt sind. Das ist eigentlich scheiße!
Ich weiss nicht, wie wir für Sichtbarkeit sorgen können. Mir fallen da nur geile Gesichtsmasken ein.
Im Alltag mit der Gesichtsmaske Sichtbarkeit erzeugen?
Mephisto: Ja. Mit Slogans darauf kreativ kommunizieren. Ich mochte die Streams auch deshalb nicht, weil man die Szene nicht einfach abfilmen und dadurch reproduzieren kann. Auf der Tanzfläche schlagen alle Herzen zusammen.
Obwohl wir jetzt nicht wie sonst für einen CSD auf die Straße gehen, können wir trotzdem Botschaften kommunizieren.
Ich weiss nicht genau wie, aber es könnte schön sein. Die Gesichtsmaske war da nur ein Beispiel. Ein/e Künstler*in könnte ein kostenloses Album dafür machen oder jemand kann etwas malen, Texte schreiben. Normalerweise sind Parade und Club dafür die Bühne, aber es ist auch abseits davon möglich, wenn wir die Situation kreativ nutzen.
Faust: Simulation per Stream ist der falsche Weg. Es ist wesentlich, sich auseinanderzusetzen, vielleicht in Form eines Salons, unsere Geschichte mit dem CSD zu analysieren. Ich war dort eigentlich nur vor Ort, um Dinge – wie z.B. PrEP – reinzutragen, was der CSD alleine nicht geleistet hat. Jetzt ist wichtig, Beziehungen zu bauen. Auf dem CSD kann man feiern, konsumieren, geil Sex haben, aber das trägt alleine nicht.
Wir sind eine Familie, in der wir uns umeinander kümmern müssen.
Mephisto: Die Mephisto-Texte sind für mich ein Beispiel für solche Dinge. Ich habe von vielen gehört – nicht nur aus Berlin – denen das Zwischenmenschliche verloren gegangen war. Es drehte sich nur noch um Party, Drogen und Musik: Konsum, Konsum, Konsum … Das ist eigentlich nicht der Ursprung der Szene.
Faust: Es gibt noch die Dimension, Öffentlichkeit für nicht-mehrheitskonforme Bedürfnisse herzustellen. Anfangs im Lockdown war es vollkommen in Ordnung, depri zu sein oder Brot zu backen. Zusammen anders produktiv werden gegen Anti-Corona-Proteste, Querfront und AFD-Scheiße. Ich verstehe unsere Produktivität nicht als Selbstverwirklichung, sondern als Wirken für eine bessere und gerechtere Welt. Mit sozialen Verwerfungen kommen neue Themen für den CSD, die mit einer geilen Kommunikation und Spaß verbunden werden können.
Gibt es etwas was ihr den queeren Communities mit auf den Weg geben wollt?
Mephisto: Ich hoffe, es geht euch allen gut. Ich hoffe, dass wir uns alle bald wieder treffen können.
Faust: Sich trauen, voraus zu schauen. Uns vorzustellen, wie wir dann zurückdenken an diese Zeit: was haben wir damals alles für Scheiß gemacht! –
Es ist gut, eine Utopie nach Corona zu imaginieren.
Die Zukunft wird ein Space Trip sein.
Anmerkung: Faust hat übrigens einen Tag nach unserem Gespräch sein C19-Antikörpertestergebnis bekommen und das war negativ.
Das Interview wurde geführt von Simon Lang, SIDEKICKS.BERLIN.
Von ihm stammt ebenfalls das Foto.