Interview mit Gastronomie-Angestellten und Rentner Rudi
Geschlecht/Sexualität: Schwuler Mann
Pronomen: Er
Was machst du?
Ich bin Rentner und arbeite in der Gastronomie, wenn ich gebraucht werde.
Wie war das während Corona?
Da war ja nichts. Die Gastronomie hatte zu und es gab dadurch auch keine Arbeit. Ich hatte Lohnausfälle.
Wieviel Zeit hast du vor Corona mit queeren Menschen verbracht? Hat sich das jetzt verändert?
Ich denke mal, dass ich vor Corona 20 Prozent meiner Zeit mit queeren Menschen verbracht habe und nach beziehungsweise seit Corona ist mein Kontakt natürlich ziemlich eingebrochen.
Du hast also wesentlich weniger sozialen Kontakt?
Genau.
Wo hast du vor Corona gerne deine Freizeit verbracht?
Nicht in der Szene, sondern bei mir im Garten am Haus. Ich lese viel und gehe viel spazieren. Auch fahre ich gerne mal in die Stadt und verreise im Winterhalbjahr zwischen September und April.
Glaubst du, dass du dieses Jahr auch wieder verreisen kannst?
Die Reisefreiheit ist ja im Moment bis zum 15. Juni eingeschränkt. Meine nächste Reise würde erst im September anstehen. Ich gehe davon aus, dass das klappen wird.
Wie sieht es bei dir mit Partnerschaft(en) aus?
Ich bin seit vielen Jahren Single.
Wie ist deine Wohnsituation?
Meine Wohnsituation ist sehr gut. Ich wohne in einer guten Gegend. Ich habe genug Platz in meiner 60 Quadratmeter-Wohnung. Sie hat zwei Zimmer und zwei Balkone. Das ist sehr angenehm, weil ich auch ein Faible für Pflanzen habe und es mag im Garten was zu machen. Meine beide Balkone sind sehr grün.
Du verbringst also viel Zeit mit Gartenarbeit?
Genau.
Hast du noch mit deinen Freunden und Bekannten Kontakt?
Seit die Restriktionen gelockert worden sind, habe ich wieder Kontakte. Ich treffe mich gelegentlich mit meinen Studienkollegen oder mit Freunden, die ich schon seit einer sehr langen Zeit habe.
Wir gehen jetzt auch wieder ins Museum. Gestern haben wir uns zum Beispiel in einem Café im Friedrichshain getroffen. Da haben wir uns ein bisschen ausgetauscht. Mehr ist im Moment nicht drin.
Wie war es während des Lock-Downs?
In dieser Zeit hatte ich keinen persönlichen Kontakt. Wir haben dann telefoniert.
Wie war die Stimmung im Freundeskreis?
Sehr locker und gelöst. Es sind ja alles Menschen, die ungefähr in meinem Alter sind – also so um die 70 Jahre alt. Wir haben mehrmals betont, dass sich, abgesehen von den sozialen Einschränkungen, der Lebensablauf nicht groß verändert hat.
Wie ist es bei dir mit Dating-Apps und mit Sexdates?
Ich habe die Apps vor Corona und auch während Corona genutzt. Während Corona aber kaum oder sehr wenig um persönliche Kontakte herzustellen.
Ich habe die Apps eher für virtuelle Kontakte genutzt. Ich habe dann mit Menschen gesprochen ohne die Absicht zu haben jemanden zu treffen.
Hattest du dann über die Apps auch mit neuen Menschen Kontakt?
Ja…da waren auch neue Leute dabei.
Wie ist es bei dir mit Substanzkonsum?
Der hat sich durch Corona nicht verändert. Ich konsumiere keine berauschenden Mittel.
Wie sieht es aus mit Alkohol und Tabak?
Tabak konsumiere ich. Alkohol nur ganz ganz selten. Alle anderen Dinge konsumiere ich nicht.
Über was machst du dir in der letzten Zeit am meisten Gedanken in Bezug auf Corona?
Ich komme aus der Gastronomie und habe in diesem Bereich mein Leben lang gearbeitet. Ich habe diesen Beruf gelernt und studiert. Ich habe diesen Beruf bis zu meiner Rente und darüber hinaus ausgeübt. Es tut mir in der Seele weh, zu sehen wie die Gastronomie und das Hotelwesen von dieser Pandemie betroffen sind, und wie wenig von staatlicher Seite gestützt beziehungsweise geholfen wird. Das finde ich schon sehr bedrückend. Ansonsten… man kann ja darüber auch denken was man möchte… es war vielleicht aber auch ein Warnschuss für die Deutschen. Wir sind ja ein sehr konsumfreudiges Volk und sehr konsumverwöhnt – vielleicht gibt es da irgendwelche Gedanken, die diesen Zustand verändern könnten.
Kannst du mir da ein Beispiel nennen?
Was brauchen wir? Brauchen wir diesen Konsum? Brauchen wir so viel? Wir haben das Allermeiste. Im Lebensmittelbereich… brauchen wir so viel Fleisch?
Brauchen wir 50 verschiedene Joghurtarten oder so viele verschiedene Sorten Nudeln? Ich glaube wir brauchen das nicht. Wir leben in einem Überfluss, der ungesund ist. So sehe ich das.
Würdest du sagen, dass Corona den Menschen hilft ihren Konsum zu überdenken?
Durch diese restriktiven Maßnahmen der Regierung hat es ja auf vielen Gebieten Einschnitte durch Corona gegeben.
Vielleicht können wir das auch als Zäsur nehmen um uns zu überlegen was im Leben wichtig ist.
Was ist wichtig im Leben?
Soziale Kontakte und das soziale Miteinander und die Solidarität untereinander – auch generationsübergreifend. Das sind viel entscheidendere Aspekte als die Frage zwischen wieviel Joghurtsorten ich wählen kann.
Was sind für dich denn die drei schönsten Dinge in dieser Zeit?
Oh Gott (lacht). Das ich gesund geblieben bin ist das Erste. Ich war nicht von diesem Virus direkt betroffen. Das Zweite ist meine finanzielle Unabhängigkeit. Ich bin nicht auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Das sind aber zwei wichtige Aspekte, die alles andere auch beeinflussen.
Hattest du ein erotisches Erlebnis während der Corona-Zeit?
Ja…ja…
Was war das?
Ein Sexdate…
Habt ihr euch während des Lock-Downs getroffen?
Ja wir haben uns getroffen als wir schon in der Corona-Zeit waren.
Dieses Jahr können ja die meisten queeren Veranstaltungen wie der CSD nicht physisch stattfinden… würdest du sagen das spielt eine große Rolle für unsere Communities? Könnten wir anders für Sichtbarkeit sorgen?
Wichtig ist das schon. Ich bedauere, dass diese Veranstaltungen nicht stattfinden.
Die Sichtbarkeit durch Aktionen wie das Straßenfest und des CSD – die Existenz schwuler Kneipen und Bars – das ist eine Errungenschaft. Dafür haben viele schwule Männer, viele lesbische Frauen und viele queeren Menschen über Jahrzehnte gekämpft.
Das wir über solche Wege Sichtbar sind, ist heute selbstverständlich. Das war aber nicht immer so. In dieser Corona-Zeit sind viele Dinge weggefallen und können nicht stattfinden. Da fällt dann auch die Sichtbarkeit weg. Wir lesen ja auch in der Zeitung, dass die Gewalt gegen queeren Menschen, gegen schwule, gegen Lesben, gegen bi- und trans-Menschen gestiegen ist. Das hat alles was miteinander zu tun. Die Selbstverständlichkeit sichtbar sein zu können auf der einen Seite und immer noch das Unverständnis und das gewaltsame Vorgehen gegen diese Menschen auf der anderen Seite.
Könnten wir da etwas als Community tun um trotzdem Sichtbarkeit zu zeigen?
Ich denke die verantwortlichen Menschen, die für solche Dinge in der Community arbeiten, werden sich Alternativen ausdenken. Es gibt ja auch Vorschläge für einen Online-CSD und die Bars und Kneipen werden ja irgendwann wieder aufmachen.
Ich denke, dass sich da Leute was einfallen lassen und es dann auch gut wird.
Auf was freust du dich denn am Meisten, nachdem die Restriktionen aufgehoben sind?
Dass ich wieder verreisen kann. Ich fahre in den Wintermonaten- also vom Herbst bis ins Frühjah r- gerne ans Meer. Da freue ich mich sehr drauf. Einfach die Tatsache, dass es dann keine Restriktionen mehr gibt, wird mich freuen. Ich habe es vermisst ins Museum gehen zu können, ich habe es vermisst mich in einem Lokal aufzuhalten oder irgendwo gut zu essen. Alles in diese Richtung ist mir wichtig. Ich freue mich auch wieder aufs Arbeiten. Ich bin noch gesund für mein Alter und gut beieinnander und könnte daher gerne noch was arbeiten.
Gibt es etwas was du den queeren Communities in dieser Zeit mit auf den Weg geben willst?
Ja… Ich habe festgestellt, dass in den letzten zwei, drei, vier, fünf Jahren – vielleicht es ist auch schon länger her oder noch nicht ganz so lange her… dass es innerhalb der Community einen großen Drang zur Diversifizierung gibt. Das halte ich für nicht gut. Das war auch nicht immer so. Als ich vor 40 oder 50 Jahren jung war, war diese Diversifizierung in queer, lesbisch, schwul, trans, drittes Geschlecht, bi und allem anderen nicht so kleinteilig. Diese Kleinteiligkeit schadet der Community als Ganzes finde ich.
Wie war das für dich früher anders?
Ich komme ja aus der alten DDR. Dort gab es die Diskussion ob Schwule und Lesben etwas zusammen machen können nicht. Im Westen gab es ja in den 80igern und 90igern diese Diskussionen. Das hatten wir nicht. Lesben und Schwule haben selbstverständlich an einem Strang gezogen. Das ist für mich ein signifikantes Beispiel. Diese derzeitige Kleinteiligkeit… jetzt macht jede Gruppe ihren eigenen Kram. Die Schwulen für sich, die Lesben für sich…die Bisexuellen… die Trans-Menschen usw. Jedes Grüppchen versucht für sich Aufmerksamkeit zu erzielen und ich denke, dass ist kontraproduktiv für die gesamte Entwicklung und für die Akzeptanz der queeren Gesellschaft.
Du appellierst also an mehr Zusammenhalt?
Ich würde mir wünschen, dass wir wieder mehr Gemeinsamkeiten suchen und wieder mehr an einem Strang ziehen. Auch wünsche ich mir, dass mehr gemeinsam anti-queere Diskriminierung und Restriktionen vorgegangen wird. Die Solidarität untereinander scheint mir doch ein wenig sehr ins Hintertreffen geraten zu sein. Ich war vor ein oder zwei Jahren mal im schwulen* Museum und da kann man das sehr gut nachvollziehen.
Was meinst du damit?
Dass es diese Gemeinsamkeit früher gegeben hat, welche es heute nicht mehr gibt.
Wie könnte man wieder für mehr Gemeinsamkeit sorgen?
Ich habe keine Idee wie das gehen sollte. Es ist aber wichtig über seinen eigenen Schatten zu springen und über den eignen Tellerrand zu blicken. Wenn ich heute in der Zeitung lese, dass lesbische Frauen oder schwule Jungs in Schöneberg verprügelt werden, dann weiß ich nicht ob die Personen, die davon nicht betroffen sind, sich dann einfach im Sessel zurücklehnen und sagen: Na ja mich betrifft das ja jetzt nicht.
Weil eine andere Gruppe betroffen ist?
Genau. Da leistet Maneo – das schwule Überfalltelefon über viele Jahre hinweg gute Arbeit. Sie dokumentieren das und tragen es nach außen. Sie legen den Finger in die Wunde.
Glaubst du Corona wird sich auf diese anti-queere Gewalt auswirken?
Ich denke, dass sich Corona nachteilig auf diesen Bereich auswirken wird. Diese ganzen Verschwörungstheoretiker haben ja abstruse Ideen und ich habe auch schon etwas gelesen, was mit schwul- lesbischen Dingen angeblich zusammenhängt. Was das genau war, weiß ich nicht mehr aber es war homophob. Es gab es eine entsprechende Meldung.
Natürlich sind im Moment viele Menschen durch die Kontaktsperre und das Homeoffice auf sich selbst zurückgeworfen. Dabei kommen dann krude Fantasien raus. Das Ergebnis sehen wir ja jetzt in Form von Hygienedemos, Verschwörungstheoretikern….
Man sieht das ja überall in die Stadt. Durch dieses Demonstrieren bekommt die AfD einen viel größeren Zulauf, als sie verdient hätte.
Welche positiven Auswirkungen könnte Corona haben? Du hast ja die Konsum-Reflexion schon als positive Auswirkung beschrieben. Fällt dir dazu noch was ein?
Ich gehe fest davon aus, dass das Reiseverhalten der Deutschen sich grundlegend ändern wird.
Ich hoffe, dass man endlich zur Erkenntnis kommt, dass wir innerdeutsche Flüge nicht brauchen.
Das haben wir ja in den letzten zwei Monaten gesehen. Wozu braucht man das? Es gibt auch die Bahn und selbst das Auto. Es muss in Deutschland nicht geflogen werden. Es muss auch nicht jeder Deutsche rund um die Welt reisen. Auch Deutschland ist ein schönes Land, indem es schöne Urlaubsziele gibt. Ich gehe davon aus, dass wenn der Tourismus wieder anläuft, viele Menschen auch das Geld zum Verreisen nicht mehr haben werden. Viele Leute werden ja nach diesen zweieinhalb Monaten Corona mit Einkommenseinbußen nicht gleich wieder reisen können. Das hat man ja auch schon am Einzelhandel gesehen. Die Läden haben ja einen Ansturm erwartet und gedacht es würde wieder so wie vorher werden. Das ist natürlich nicht eingetreten. Das sieht man ja auch in Berlin mit den Gaststätten – die sind ja jetzt auch nicht so gut besucht wie vor Corona, weil die Leute einfach nicht genug Geld haben. Viele Menschen sind mit Miete, mit Raten usw. Ins Hintertreffen geraten und das schleppen sie jetzt mit sich rum. Da können wir nicht davon ausgehen, dass eine Familie, die jetzt wieder in Arbeit kommt, dann in sechs Monaten 2000 Euro übrig hat um eine größere Reise zu machen. Das wird nicht passieren.
Das wäre ja gut für die Umwelt…
Das wirkt sich natürlich auf die Umwelt aus. Die Seeufer, die vermüllt und übernutzt worden sind, erholen sich jetzt wieder. Die Natur hatte Zeit sich zu erholen.
Die Leute jammern, dass es nicht genug Vögel und Schmetterlinge gibt, aber unser Leben trägt ja dazu bei.
Der Mensch ist der Auslöser dieses Zustandes. Es betrifft ja nicht nur unser Land. Ganz Europa und die Welt ist betroffen. Ich denke, dass die Natur dadurch aufatmen konnte.
Glaubst du das ist ein dauerhafter Zustand?
Ich glaube nicht. Der Mensch ist an diesem Punkt nicht lernfähig.
Habe ich eine wichtige Frage zu Corona vergessen?
Ich denke du hast das Allermeiste abgedeckt. Du hättest vielleicht noch mehr nach politischen Dingen fragen können. Die Regierung hat ja Teile der Verfassung ausgesetzt und unsere Grundrechte eingeschränkt. Das solle man im Auge behalten. Das waren wenige Federstriche, aber niemand hat gesagt welche Mechanismen es gibt, die diese Einschränkungen wieder aufheben.
Es gibt auch keine Kontrollinstanz, welche die Aufhebung kontrolliert und die Wiederherstellung der Bürgerrechte überwacht.
Das sind wichtige Fragen.
Das Interview wurde geführt von Simon Lang, SIDEKICKS.BERLIN.
Das Foto stammt Rudis Privatsammlung.